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Was bisher geschah
Ein Sommer voller bergsteigerischer Höhepunkte endete in einer Tragödie, als vier der sieben Männer, die als erste den Gipfel des Matterhorns bestiegen hatten, beim Abstieg in den Tod stürzten. Einzig Edward Whymper und die Zermatter Bergführer Peter Taugwalder Vater und Sohn kehrten nach Zermatt zurück. Die sterblichen Überreste der britischen Bergsteiger Charles Hudson und Douglas Hadow sowie des französischen Bergführers Michel Croz wurden nahe der Stelle, an der man sie auffand, im Schnee begraben. Die Leiche von Lord Francis Douglas wurde nicht gefunden. Bald schon entstanden im Dorf und darüber hinaus die wildesten Gerüchte zur Unfallursache.
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Nach der Tragödie
Das Wetter verschlechterte sich und ein Wind, den die Einheimischen die „Bise“ nennen und der durch Mark und Bein dringt, setzte ein und brachte heftige Regenfälle mit sich – was Schnee in den Bergen bedeutete. Ich bleibe in Zermatt, obwohl die Stimmung hier ebenso düster ist wie der Himmel, und werde versuchen, etwas Licht ins Dunkel der zahlreichen Spekulationen zur Tragödie am Matterhorn zu bringen. Es heisst, es würde eine Untersuchung von offizieller Seite geben, aber wann das sein wird, weiss keiner.
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Es stellte sich nun die traurige Aufgabe, die Verwandten der Opfer zu informieren. Robertson schickte der Witwe von Charles Hudson eine Haarlocke ihres Mannes. Whymper hütet Michel Croz’ Kruzifix, um es dem Bruder des Verstorbenen zu übergeben. Whymper versichert uns, dass ein Bergschuh, der an der Stelle des Grauens gefunden wurde, an der man auch die Opfer vergraben hatte, Lord Douglas gehören würde. Es ist ausgeschlossen, dass er noch am Leben ist und womöglich irgendwo auf einem dieser schicksalhaften Felsvorsprünge ausharrt. Es gibt keine Hoffnung mehr.
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Die Zermatter Gemeinde sprach sich dagegen aus, die Verstorbenen im Schnee begraben liegen zu lassen und bot eine Truppe starker Bergführer auf, welche die leblosen Körper zurück ins Tal bringen sollte. Morgen sollen sie beerdigt werden.
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Worte reisen
Ich muss eine fehlerhafte Darstellung des Journal de Genève berichtigen, wonach Lord Francis Douglas ausgerutscht sein und die anderen Männer mit sich gerissen haben soll. Whymper und die beiden Taugwalders sind sich darin einig, dass es der unglückliche Douglas Hadow war, der ausgerutscht ist.
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Reverend McCormick hat ein Schreiben an die Times verfasst in der Absicht, die ahnungslosen Stimmen, die das vermeintlich Geschehene in die Welt posaunen, zum Schweigen zu bringen. Es handelt sich dabei um eine schnörkellose Aufzählung der Geschehnisse, bei der Whymper – soweit ich weiss – besonders darauf bedacht war, auf die Gefühle der Angehörigen Rücksicht zu nehmen. Allerdings beunruhigt mich das auch, denn seine schlichte Aufzählung der Geschehnisse am Berg hinterlässt Lücken in der Geschichte, und meiner Erfahrung nach werden Lücken rasch mit wilden Spekulationen gefüllt. Aus Mythen werden Tatsachen.
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Das gerissene Seil
Es scheint mir, dass das Seil, das den alten Peter Taugwalder mit Lord Francis verband, von schlechterer Qualität war und unmöglich vier stürzende Männer hätte aushalten können. Es kursiert die Frage, weshalb ausgerechnet dieses Seil verwendet wurde, und selbstverständlich hat man auch gleich die passenden Antworten parat: entweder, so das eine Gerücht, es war absichtlich ein schwächeres Seil benutzt worden, oder aber, so das andere Gerücht, es waren zu wenige von den solideren Seilen vorhanden gewesen. Aber niemand im Dorf möchte sich mir gegenüber dazu äussern, sodass ich die Quelle dieser Gerüchte nicht ausmachen kann.
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Welche Pläne hatte Hudson verfolgt?
Man zeigte sich überrascht darüber, dass man den jungen Douglas Hadow bei einer derart ehrgeizigen Besteigung mitgenommen hatte. Trotz seiner jugendlichen Stärke und seines unerbittlichen Willens war er doch noch schrecklich unerfahren. In meinen Gesprächen mit Reverend McCormick kam zutage, dass Hudson geplant hatte, die Ankunft von Kennedy und McCormick abzuwarten, um dann zu einem Gipfelangriff mit der speziellen Leiter und den Drahtseilen aufzubrechen. Letztere wurden jedoch zurückgelassen und stattdessen nahm man Hadow mit. Möglicherweise sah Hudson diese Exkursion als eine Art Erkundungstour. Wir werden es wohl nie erfahren.
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Noch mehr Leid
Diese gnadenlosen Berge haben noch ein weiteres Opfer gefordert: Gestern wurde der leblose Körper von William Knyvet Wilson, der mit Robertson und Phillpotts angereist war – allesamt Dozenten an der Rugby School – am Fusse des Riffelhorns gefunden.
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Möglicherweise die Besteigung des Jahres
An dem Tag, als die schreckliche Tragödie Zermatt in tiefe Trauer stürzte, konnte an einem anderen mächtigen Gipfel eine grossartige Leistung gefeiert werden. Einige unserer verwegensten Bergsteiger fanden einen Route über das Labyrinth des Brenva-Gletschers von Courmayeur aus und es gelang ihnen die höchste Überschreitung des Mont Blanc. Ich fürchte, dass die verdiente Anerkennung für diese Leistung von der Tragödie am Matterhorn überschattet wird. Dennoch ein Hoch auf diese aussergewöhnliche Seilschaft: Adolphus Moore, Horace und Frank Walker, George Mathews sowie ihre Bergführer, die Cousins Melchior und Jakob Anderegg.
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Die Zweitbesteigung
Am Montag erreichte Jean-Antoine Carrel mit seinem Bergführerkollegen Jean-Baptiste Bich von Breuil aus den Gipfel des Matterhorns. Nun, da die Besteigung von beiden Seiten erfolgreich war, wird das Blutvergiessen an den Felsen dieses Berges vielleicht endlich ein Ende finden.